– Einblick
FREITAG, 09.12.2022 – die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ (GfdS) verkündet: das Wort des Jahres 2022 lautet „Zeitenwende“…
Vor zwei Jahren lautet das Wort des Jahres übrigens „Corona-Pandemie“ – beide Worte beschreiben sehr präzise, welche Probleme und Krisen die Gesellschaft in den jeweiligen Jahren beschäftigt haben. Dass die Corona-Pandemie in den letzten zweieinhalb Jahre auch uns Schüler:innen „beschäftigt“ hat und was die psychischen Auswirkungen der Lockdowns und Verhaltensregeln sind, haben wir euch bereits vergangenes Wochenende beschrieben. Doch ist jetzt, wo es nur wenige Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie gibt und die neue niedersächsische Kultusministerin, Julia Willie Hamburg von den Grünen, verkündete, dass es „definitiv keine weiteren Schulschließungen“ geben werde, alles wieder gut?
Nein, denn nach der Krise ist in diesem Fall in der Krise. Das Wort des Jahres 2022, das Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede zum russischen Angriff auf die Ukraine verwendete und das den Übergang in eine neue Ära in der europäischen Nachkriegszeit beschreibt, repräsentiert mit diesem Krieg die aktuell wohl präsenteste Krise. Für uns Schüler:innen ist Krieg in Europa etwas, das wir zuvor nur aus unseren Geschichtsbüchern kannten. Aber auch allgemein hat man vor dem 24. Februar nicht viel über Krieg nachgedacht, obwohl es ihn schon die ganzen Jahre über in unseren noch jungen Leben in einigen Teilen der Welt gab und noch immer gibt. Doch irgendwie hat man diese Kriege (leider) nicht so bewusst wahrgenommen, wie es mit dem Krieg in der Ukraine ist. Das könnte unter anderem wohl auch daran liegen, dass wir jetzt persönlich viel mehr davon betroffen sind, denn Inflation, Warenmangel beziehungsweise Lieferschwierigkeiten und die Energiekrise gehören inzwischen zum Alltag. Während man vergangenes Weihnachten, endlich wieder mit der ganzen Familie, im gut geheizten Wohnzimmer vor dem warm leuchtenden Weihnachtsbaum saß, fingen viele in diesem Jahr erst spät an überhaupt zu heizen und wenn man in Städten die Weihnachtsbeleuchtung am helllichten Tag sieht, fragt man sich plötzlich, ob das wirklich sein muss, anstatt sich über die weihnachtliche Atmosphäre zu freuen. Es ist also für viele Jugendliche auch in dem Sinne eine Zeitenwende, dass man die Dinge plötzlich ganz anders betrachtet.
Aber der Ukraine-Krieg und dessen Folgen sind nicht die einzigen Krisen, auch wenn sie einen Großteil der Nachrichten einnehmen. Innerhalb von Deutschland stellt der Fachkräftemangel ein großes Problem dar und hat unter anderem zur Folge, dass es Lücken im gesundheitlichen Versorgungsnetz gibt. Weltweit gibt es weiterhin die Verachtung von Menschenrechten, Diskrimierungen und Verfolgungen von Menschen, die sich nicht „ins System einfügen wollen“ sowie humanitäre Katastrophen, die durch den Klimawandel nicht unbedingt verbessert werden. Und auch der Klimawandel an sich bereitet große Sorgen. Wie wird das Leben in 30 Jahren auf der Erde aussehen? Wie viel Erde wird noch bewohnbar sein? Wie viel Fläche wird bereits im Meer versunken sein? Die Aussichten auf unsere Zukunft sind in dieser Hinsicht nicht besonders rosig, aber was können wir schon dagegen tun? Seit einigen Jahren setzten sich Jugendliche zum Beispiel mit Fridays for Future für den Klimaschutz ein – aber was bringt das schon? Nicht genug, so viel lässt sich sagen, denn die Weltklimakonferenz im November 2022 hat wieder keine konkreten Ergebnisse hervor gebracht, sondern endete mit einer Vertagung der Lösungssuche auf die nächste Konferenz…
Auch im Unterricht thematisieren wir diese aktuellen Krisen und man macht sich ernsthaft Gedanken über die eigene, aber auch über die Zukunft der Gesellschaft – dennoch wirkt das ganze auf uns ein Stück weit surreal. Sobald man wieder zu Hause ist und den Fernseher oder die Spielekonsole als Nachmittagsbeschäftigung auserkoren hat, ist das Leid der Welt für einen Moment nicht existent. Erst wenn um 20 Uhr das Erste Deutsche Fernsehen angeschaltet wird, fängt das Gedankenkarussell erneut an sich zu drehen:
Wir fühlen uns hilflos. Wir müssen in Zukunft auf der Erde leben. Wir dürfen nicht mitreden.
Und wir werden davon erschlagen. Täglich wird über die Entwicklungen in der Ukraine berichtet: „Stadt XY wird belagert. – Die Ukraine hat Stadt XY zurückerobert. – Russland hat Stadt XY eingenommen. – Ukraine hat die russische Armee in Stadt XY zurückgedrängt. -…“ Auch die Situation im Iran verschärft sich immer weiter: „Demonstrant im Iran hingerichtet. – Iranischer Botschafter einbestellt. – Die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gezogen werden.-…“ Weiterhin versuchen Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen: „Kapitän muss vor Gericht. – Flüchtlingslager abgebrannt. – …“ STOP!
Manchmal würde man sich am liebsten von den Nachrichten abschotten. Die Augen verschließen. Denn wirklich etwas verändern? Können wir nicht. Wir sind weitgehend hilflos. Die Zeitenwende hat uns voll erwischt und trotz aller Surrealität nehmen wir die Krisen wahr und müssen irgendwie damit umgehen. Auch wenn man am liebsten einfach die Zeit zurückdrehen würde, denn in der Adventszeit vor zehn Jahren war unsere größte Sorge, ob der Weihnachtsmann wohl unseren Wunschzettel erhalten hat…
„Die Zukunft war früher auch besser.“
– Karl Valentin (deutscher Autor und Komiker des 20.Jh.)
Von Marika und Paula