Die Formel-1 boomt weltweit. Ausdruck des gesteigerten Interesses an der Königsklasse ist auch der immer weiter expandierende Kalender. Für 2023 haben die F1-Bosse ganze 24 Rennen in den Terminplan eingetragen. Das sind noch zwei mehr als in der vergangenen Saison, die nach der Absage des Russland-GP wegen des Ukraine-Kriegs auf „nur“ 22 Rennwochenenden kommt. Aber ist diese extreme Rekordzahl wirklich so gut oder schadet sie eher dem gesamten Sport?
Von den Grand Prix, die letztes Jahr noch im Kalender vertreten waren, fliegt nur Frankreich raus. Das Rennen in Le Castellet kann sich die immer weiter ansteigenden Gebühren nicht mehr leisten. Die Organisatoren der Rennstrecke nahe der gleichnamigen Ortschaft hoffen zwar auf eine baldige Möglichkeit auf ein erneutes Event, jedoch gilt das als eher unwahrscheinlich. Und auch wenn die Kompetition an der Côte d’Azur nicht gerade als beliebte unter den Fans zählt, ist es bitter, ein weiteres Rennen in Europa zu verlieren. Hinzu kommt, dass dieses ebenfalls durch gleich drei Überseerennen ersetzt wird, was den Reisestress der Rennställe deutlich erhöhen wird. Mit dem im Oktober stattfindenden Rennen in Katar kehrt immerhin ein ehemaliger Kurs zurück. Auch wenn es nun wirklich nicht den Titel eines „Traditionsrennen“ trägt – immerhin etwas Verbesserung.
Das eigentlich geplante Rennwochenende im asiatischen Shanghai musste jedoch relativ kurzfristig gecancelt werden. Schließlich sind die Chinesen für ihre knallharte Corona-Politik bekannt – deshalb haben die Teams nur wenig Lust in das Ursprungsland des Corona-Virus zu reisen. Hier hätte es im Vorfeld offizielle Versicherungen geben müssen, bevor der gesamte Formel-1-Zirkus sich dort für einige Tage heimisch macht.
Als neuer Kurs im Kalender reiht sich der Las Vegas Grand Prix ein. Von der rund sechs Kilometer langen Strecke erhoffen sich die Chefs der Formel 1 ein Event der Superlative. Gefahren wird auf einem spektakulären Stadtkurs unter Flutlicht, der die Piloten auch über den weltberühmten Strip führt. Das Rennen findet ungewöhnlicherweise an einem Samstag statt. Der Start soll um 22 Uhr Ortszeit erfolgen. Dazu könnte in Las Vegas schon die WM-Entscheidung fallen. Im Anschluss folgt nur noch das Saisonfinale in Abu Dhabi am 26.11.23. Eigentlich hört sich dieser „Ort […], an dem wir den Sport weiterentwickeln werden“, wie ihn Stefano Domenicali bei der Preview Las Vegas nannte, gar nicht so schlecht an, oder?
Einerseits stellt das gesamte Vorhaben für „wahre“ Formel 1-Fanatiker ein Problem dar; denn um bei dem Mega-Event einen direkten Blick von den Boliden erhaschen zu können, müsste man mindestens 2000 Euro über die Tickettheke fließen lassen – ein gar unvorstellbar großer Preis für Enthusiasten, die einfach gerne ihrer Leidenschaft nachgehen wollen. Da der Großteil der Formel-1-Anhänger immer noch in Europa ansässig ist, würden dazu zusätzlich noch Flugtickets und Aufenthaltsmöglichkeiten addiert werden. Dadurch fehlt auch jungen Fans der Kontakt zu ihrer Passion.
Aber nicht nur dieser Aspekt könnte ein negatives Auswirken auf die weitere Entwicklung des Motorsports bedeuten. Auch die Stimmen nach einer Änderung, die sich positiv auf das Thema Umweltschutz und die Nachhaltigkeit auswirken, werden immer lauter. Die Verbrennermotoren sind schon lange unter kritischen Augen von Klimaexperten gelandet, sodass die FIA 2010 ein Regularium auslegte, welches den Teams nur noch sechs anstatt den vorher acht beziehungsweise zehn Zylindern gestattet. Darüber hinaus dürfen die Autos während der Rennen auch nicht mehr nachgetankt werden.
Man merkt; die Formel 1 versucht immerhin nachhaltig zu wirken. Sie ist es aber nicht. Laut einer portugiesischen Studie werden alleine an einem durchschnittlichen Renntag, also dem Sonntag, rund 120 Tonnen Co2 freigesetzt.
Ein weiterer klimaschädlicher Aspekt sind die immer häufigeren Flugreisen, bei denen die gesamte Technik und die Fahrzeuge um den Globus geflogen werden. Klar, das gibt es bei anderen Sportarten auch. Der Aufwand bei der Formel 1 ist aber durch die Werkstätten, Schaltzentralen und Motoren immens. Im Jahr 2000 fanden insgesamt 17 Rennen statt. Damals lagen die europäischen Rennstrecken im Rennkalender hintereinander, so dass das Equipment theoretisch neunmal per LKW transportiert werden konnte. In der aktuellen Saison finden insgesamt 23 Rennen statt, dabei folgen aber gerade einmal bei sieben Rennen europäische Länder aufeinander. Überhaupt sind die Rennwochenende vollkommen unverständlich auf der gesamten Welt verteilt, sodass es nicht nur ein Einzelfall ist, dass die gesamte Formel 1-Karawane erst in Bahrain daheim ist, anschließend rund 12.000 Kilometer bis ins weit entfernte Australien reist, ehe sie wieder etwa 13.000 Kilometer, geradewegs vorbei an dem Staat am persischen Golf, die Hauptstadt von Aserbaidschan, Baku, besucht. Durch derartige Reisestrapazen legen die Teams jeweils bei direktem Luftweg von Rennort zu Rennort pro Saison insgesamt ca. 130.000 Kilometer zurück.
Zusammenfassend lässt sich sagen, die Formel 1 sollte sich mehr an ihrer Vergangenheit orientieren. Klar, Veränderung ist für das Marketing im ersten Moment nie schlecht; nicht nur in der Formel 1. Beim zweiten Hinsehen bringt diese Art von Veränderung jedoch so viele negative Eigenschaften mit sich, als das sie sich – abgesehen vom Geld – wirklich rechtfertigen lässt. Um positive Effekte in aller Hinsicht erlangen zu können, müsste man zunächst einmal den Rennkalender regionalisieren, beziehungsweise zumindest die Reihenfolge einzelner Rennen überdenken, sodass in Zukunft niemand mehr Wochenende für Wochenende über den gesamten Globus reisen muss. Im selben Schritt sollten die Organisatoren sich erneut durch den Kopf gehen lassen, ob sie weiterhin neue Events in „Schurkenstaaten“ wie Saudi-Arabien oder Katar vergeben wollen, in welchen öffentlich bekannt Menschenrechte unterdrückt werden.
Wenn die Formel 1 den aktuellen Expansionsfaktor beibehält, wird bald eine Änderung von Nöten sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis nicht nur die Fans, sondern auch die Fahrer und Teams ihren Mund öffnen und ihr Unglück offenbaren.