PoetryMonday #1: Das Kleid ihrer Träume

Immer montags werden wir künftig kreative literarische Texte von Eichenschüler:innen, zum Beispiel Erzählungen oder Gedichte, in diesem Blog veröffentlichen. Anlässlich des Welttags der Poesie halten wir in der Woche um den 21. März sogar jeden Tag einen literarischen Beitrag für euch bereit.

Bildreferenz: Jan Vermeer, Die Spitzenklöpplerin (1669/70) / Musée du Louvre; Fotografie: LK J13-DE1, Paris 09.09.2022

Nur noch ein paar Stunden. Dann ist es fertig. Es wird ein Meisterwerk.

Vielleicht das beste Kleid, das ich je schneidern durfte… Vielleicht werde ich dann berühmt? Als Schneiderin…Wenn ein junges, reiches Mädchen mein Kleid auf der Straße trägt und es ihren Freundinnen zeigt. Ja. Dann wollen bestimmt alle ein Kleid von mir. Und dann werden ich berühmt. Ganz vielleicht…

Ach komm, mach dir nichts vor! Niemals! Niemals werde ich berühmt! Man wird ja nicht einmal meinen Namen darauf sehen. Keiner wird wissen, dass ich es genäht habe. Ich bin kein Name auf einem Kleidungsstück. Ich bin nicht das Gesicht einer tollen Modemarke. Ich bin nichts und ich werde nichts. Ich bin ein Niemand. Ein Niemand, der niemanden kennt und den niemand kennt. Und niemals jemand kennen wird. Ich sitze hier jeden Tag für so lange Zeit. Wertvolle Zeit. Meine Lebenszeit. Und ich mache jeden Tag dasselbe. Klar, das Nähen macht mir Freude. Ohh ja, macht es mir viel Freude. Aber nicht so. Nicht für andere Menschen. Nicht für sie, denen ich meine Arbeitskraft schenke.

Ich will etwas für mich machen. Das hier für mich machen. Wie gerne ich meine eigene kleine Schneiderei hätte… Dann wäre ich nicht länger im Alltag gefangen, dann wäre ich nicht länger eine Marionette am seidenen Faden. Dann wäre ich frei. Dann wäre ich mit so viel Herz bei der Sache, dass ich so schöne Kleider schneidern würde, wie sie noch nie jemand gesehen hat. Dann würde jeder meine Kleidung tragen. Oh, wie schön das doch wäre! Dann könnte ich doch noch berühmt werden. Und dann wäre ich reich und jeder würde mich kennen. Mein Leben wäre fantastisch. Und ich könnte selbst die allerschönsten Kleider tragen. Und dann würde auch er endlich wissen, wer ich bin. Er. Er würde mich sehen. Mich kennenlernen wollen. Dann wäre mein Leben perfekt.

Wer weiß, vielleicht wird es so kommen. Es ist doch schon so viel möglich heutzutage. Ich könnte wirklich etwas erreichen. Das wäre so schön…
So schön wie dieses Kleid. Endlich ist es fertig. Oh ja, es ist unglaublich schön geworden. Ein Meisterwerk. Damit könnte ich es schaffen. Mir etwas Eigenes aufbauen. Aber nicht mit diesem Kleid… denn das ist nicht für mich. Nichts ist für mich. Und niemand kennt mich. Und dennoch sitze ich hier jeden Tag…
Noch.

Eine Erzählung von Rebecca, J13

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