– Der Nationalfeiertag eines Landes, das immer noch mit seiner Vergangenheit zu kämpfen hat
Der 26. Januar. In Deutschland ein ganz normaler Tag, in Australien jedoch ist es ein Tag voller Proteste, der Forderung nach Verständnis, Polarisierung und der Frage, wie man mit dem grauenhaften geschichtlichen Erbe geprägt von Diskriminierung und Ausgrenzung der indigenen Bevölkerung umgehen soll.
235 Jahre ist es genau heute her, dass Großbritannien Australien zum eigenen Staatsgebiet erklärt hat, nachdem am 18.01.1788 die erste Schiffsflotte – „The first fleet“ – bestehend aus elf Schiffen der Briten mit Strafgefangenen nahe der australischen Stadt Sydney in einer Bucht angelegt hatte, da die eigenen Gefängnisse überfüllt waren und man sich folglich entschloss, die Sträflinge auf den Kontinent Australien zu bringen, dessen Existenz man in Europa erst kürzlich bemerkt hatte.
Es sollten die nächsten 80 Jahre noch 799 weitere Schiffe in die neue britische Kolonie mit knapp 160.000 Menschen an Bord – hauptsächlich weiteren Gefängnisinsassen – folgen.
Bei Betrachtung dieser Ereignisse scheint es erst einmal logisch, den 26. Januar zum Nationalfeiertag zu erklären. Schließlich haben Briten in den folgenden Jahren die Entwicklung des Landes zu dem Staat, der es heute ist, maßgeblich vorangetrieben.
Für die indigene Bevölkerung des Landes mitten im Pazifik markiert der 26.01.1788 jedoch keinen Tag zum Feiern – stattdessen aber den Beginn eines jahrzehntelangen Leidens; von Ausgrenzung, Vertreibung, Unterdrückung, Raub des Landes und der Kultur, Rassismus und grausamen Morden.
Mit wiederkehrenden Protesten unter dem Hashtag #ChangeTheDate wollen sie an diesem Tag im Januar auf ihr erfahrenes Leid aufmerksam machen und die Probleme, mit denen sie aufgrund ihrer Behandlung und Lebensumständen immer noch zu kämpfen haben. Gleichzeitig möchte die indigene Bevölkerung die Verlegung des Nationalfeiertages auf den 01.01 erreichen, an dem das Land sich schloss und 1907 an diesem Tag die Unabhängigkeit von Großbritannien erhielt – um Feierlichkeiten an einem so dunklen Tag für sie zu verhindern. Sie bezeichnen den 26.01 oft als Survival Day oder Invasion Day.
Dennoch finden bis heute jedes Jahr riesige Feierlichkeiten mit Feuerwerken statt, die „Australier des Jahres“ werden in einer großen Preisverleihung geehrt und der Premierminister wird auch heute wieder eine Ansprache halten.
Die australische indigene Bevölkerung, die auch oft als Aborigines bezeichnet wird, ist noch genauer in die ursprünglich an Land lebende indigene Bevölkerung (Aborigines) und diese auf Inseln im Norden (Torres-Strait-Islanders) zu unterteilen. Seit rund 40.000-60.000 besiedeln sie den Kontinent.
Im Jahre 1788 endetet mit der Ankunft der Engländer aber ihr naturverbundenes und bisher gekanntes Leben, obwohl man zu Beginn noch von den Briten gleichwertig behandelt und akzeptiert wurde – hatten diese schließlich von ihrem Kapitän die Anweisung bekommen, alle Menschen denen man begegnen würde zu respektieren.
Mit der steigenden Nachfrage nach Land und Ressourcen durch immer mehr Menschen, die aus England kamen, wurde das Verhältnis zwischen ihnen angespannter. Zudem hatten die Europäer einige Krankheiten mitgebracht, gegen welche die Ureinwohner:innen keine Abwehrkräfte hatten und somit tausende Tote forderten, was den Konflikt keinesfalls beruhigte. Als die Briten sogar begannen, die indigene Bevölkerung zu misshandeln und wahllos zu töten, wurden sogenannte „Chief Protectors“ in den einzelnen Regionen eingesetzt, um wieder Frieden und Respekt einkehren zu lassen. Jedoch nutzten diese ihre Position bedingungslos aus, indem sie Kinder der Indigenen ohne jegliche Einwilligung von ihren Familien trennten, um sie vermeintlich „nach westlichen Standards“ zu erziehen, was oft von weiterer Misshandlung und Gewalt geprägt war.
Bis zum Jahre 1907 setzte sich diese Unterdrückung fort, als Australien unabhängig wurde und in vielen Hoffnung geweckt wurde, die unwürdige Behandlung und Unmenschlichkeit unter den Briten gegenüber den Indigenen sei nun Vergangenheit – dies bewahrheitete sich jedoch nicht. In den 1920er Jahren galt die indigene Bevölkerung Australiens sogar als vom Aussterben bedroht – nur noch 60.000 der ehemals 600.000 Einheimischen war am Leben aufgrund der grauenhaften Lebensumstände. In der Zeit der 1930er und Anfang der 1940er änderte sich dann Einiges: es etablierten sich erstmals Organisationen, die die Interessen der Unterdrückten vertraten und versuchten, ihnen aus ihrer Situation geprägt von Armut, Hunger und mangelnder Rechte herauszuhelfen. Mit dem zweiten Weltkrieg und ebenfalls vielen jungen Männern der einheimischen Bevölkerung, die Kriegsdienst leisteten, wuchs das Ansehen für sie und ihre Kultur schrittweise, bis sie 1946 die Möglichkeit bekamen, die australische Staatsbürgerschaft zu erlangen. 1960 war es dann endlich so weit, dass sie die gleichen Rechte erhielten wie alle anderen in der australischen Bevölkerung – sie durften wählen, Immobilien besitzen und mussten gleichberechtigt behandelt werden – zumindest auf dem Papier.
Denn auch noch 63 Jahre später müssen die inzwischen wieder 600.000 Ureinwohner:innen immer noch gegen Rassismus und Vorurteile kämpfen, da auch die Integration dieser in die australische Gesellschaft eher häufig schlecht verläuft und verlaufen ist. Ihre soziale Situation ist nicht selten immer noch problematisch: die Arbeitslosigkeit liegt unter ihnen drei mal höher als in Australien insgesamt – ebenso die Suizidrate. Die Lebenserwartung beträgt sogar ganze 17 Jahre weniger, in vielen Orten oder Stadtvierteln, die hauptsächlich von der indigenen Bevölkerung bewohnt werden, gehören Alkohol- und Drogenmissbrauch zum Alltag, ein Viertel dieser Siedlungen liegen weit ab im Outback in schrecklichem Zustand.
Nach dem Bekanntwerden dieser Lebensbedingungen wurde die Präsenz der Polizei und Sozialmitarbeitenden in diesen Ortschaften verstärkt, die Indigenen erhalten Sozialhilfe zum Teil in Form von Lebensmittelgutscheinen, um die Armutsprobleme direkt anzugehen, sie müssen an den Universitäten keine Gebühren zahlen und werden bei der Einschreibung bevorzugt, um ihre Bildungschancen und somit Chancen auf eine sichere Zukunft zu verbessern. Ebenso hat die offizielle Entschuldigung der Regierung 2008 ihre Lage etwas verbessert, dennoch zeigt ein kurzer Blick in die Politik des Landes die immer noch mangelnde Unterstützung der indigenen Bevölkerung. Anthony Albanese, der sozialdemokratische Premierminister, will dieses Jahr ein Referendum durchführen lassen, ob es im Parlament eine spezielle Position für die indigene Bevölkerung – eine sogenannte indigene Stimme – geben soll, wobei sich die konservative Partei schon klar dagegen ausgesprochen hat – dies würde die Lücke zwischen jenen und der restlichen Bevölkerung nicht schließen.
Dieses Jahr gibt es aber von Seiten vieler Arbeitgeber:innen erstmals die Möglichkeit, nicht am Australia Day frei zu nehmen aus Respekt zu der indigenen Bevölkerung, sondern an einem anderen beliebigen Tag. Auch sollen dieses Jahr mehrere Millionen Euro in die Aufarbeitung der Verbrechen investiert werden.
Der Australia Day ist kein normaler Nationalfeiertag. Er zeigt die Spaltung eines Landes, das seine Vergangenheit immer noch nicht verarbeitet hat und viele Dialoge führen muss, um die immer weiter aufkochende Frustration unter der indigenen Bevölkerung zu beenden und ihren Forderungen gerecht zu werden. Bis das passiert und dieser Prozess abgeschlossen ist, werden die riesigen Proteste an einem Feiertag weitergehen, der für nicht wenige der Beginn eines jahrhundertelangen Elendes war.
Paula Holste