Eine Woche später:
Seit einer Woche arbeitete Tammo nun schon in der Technikabteilung. Hatte er anfangs noch gedacht, der Wunschzettel vom ersten Tag sei eine Ausnahme gewesen, so wusste er nun, dass in diesem Jahr alle Wunschzettel so aussahen.
In jeder Halle gab es einen großen Glasbehälter, in dem die Wunschzettel waren, auf denen die Wünsche standen, die in die entsprechende Abteilung gehörten. Während der Behälter der Technikfabrik immer bis oben hin gefüllt war und ständig neu gefüllt wurde, so waren die Behälter in den anderen Hallen gerade mal zu einem Viertel gefüllt. Inzwischen waren sie sogar vollständig leer, da alle nicht technischen Wünsche bereits abgearbeitet waren. In Halle 3 herrschte dafür um so mehr Stress. Die Produktion erfolgte viel zu langsam, um die gesamte Menge rechtzeitig abarbeiten zu können. Dazu kam, dass einige Bauteile fehlten, sodass einige Geschenke nicht produziert werden konnten. Damit die Kinder an Weihnachten nicht traurig waren, versuchten der Weihnachtsmann und Milli neue Teile zu bekommen. Allerdings wusste niemand, ob diese auch rechtzeitig den Nordpol erreichen würden. Die Stimmung in der Fabrik war schlecht – der Stress war machte sich deutlich bemerkbar. Jede noch so geringe Kleinigkeit konnte einen hitzigen Streit auslösen. Tammo fühlte sich überhaupt nicht wohl. Er hatte die Aufgabe bekommen, die Wunschzettel aus dem Behälter zu holen und an die anderen Elfen weiterzugeben. Sobald diese einen Blick auf den Zettel warfen, baten sie Tammo um einen anderen, der einfacher abzuarbeiten war. Da Tammo noch neu war, traute er sich nicht, ihnen zu widersprechen und suchte jedes Mal nach einem neuen Zettel.
Gerade hatte ihn wieder jemand um einen anderen Wunschzettel gebeten. Tammo seufzte leise und griff eine andere Papierrolle. Er löste das Schleifenband und las sich die Wünsche durch. Doch was er da las, war keineswegs das, was in Anbetracht der vergangenen Woche erwarten hatte:
Hanna, 9 Jahre:
Lieber Weihnachtsmann,
ich weiß, dass es viel verlangt ist, aber kannst du Mama
wieder gesund machen? Ihr geht es immer schlechter.
Sie ist immer ganz blass und sie hat gar keine Haare mehr.
Aufstehen will sich auch nicht mehr. Ich will sie nicht verlieren,
ich hab doch nur noch sie. Papa, Oma und Opa sind alle schon
im Himmel, aber da will ich nicht hin. Mir ist klar, dass du sie
wahrscheinlich nicht wieder gesund machen kannst, aber kannst du
ihr neue Haare schenken? Vielleicht traut sie sich dann wieder aus
ihrem Zimmer raus. Und kannst du uns ein neues Telefon bringen?
Unser altes ist kaputt, aber ich brauche doch eins, damit ich den
Krankenwagen anrufen kann, wenn Mama wieder dieses rote Zeug
ausspuckt. Das wäre wirklich nett von dir.
Deine Hanna
PS: Vielleicht kannst du mir auch noch ein neues Kleid für meine
Puppe schenken, aber wenn dass zu viele Wünsche sind, dann
verstehe ich das auch. Schließlich willst du ja auch anderen Kindern noch
etwas schenken.
Gerührt wischte Tammo sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor er den Wunschzettel an die ältere Elfe weitergab. Es bestand also doch noch Hoffnung, dass es Kinder gab, die sich noch über kleine Dinge freuen konnten und auch an anderen Menschen dachten.
„Ende“, schloss die Großmutter ihre Geschichte ab. Betreten sahen sich die Geschwister an. In der Schule hatten sie über diese Krankheit gesprochen. Trotzdem konnten sie sich nicht wirklich vorstellen, wie Hanna aus der Geschichte sich fühlen musste.
„Du, Oma? Sind denn jetzt eigentlich alle Geschenke rechtzeitig fertig geworden?“, fragte das Mädchen. „Das hoffe ich doch“, antwortete die Großmutter. Plötzlich sprangen die Geschwister auf und ihre Oma fragte, wo sie denn hin wollten. „Ach, nur eine Kleinigkeit auf unseren Wunschzetteln ändern.“
„Ich fühle, dass Kleinigkeiten die Summe des Lebens ausmachen.“
– Charles Dickens –
Von Marika und Paula