Stellen sie sich eine Katze vor.
Eine stolze, erhabene Katze mit glänzendem Fell und leuchtenden Augen.
Manchmal beobachtet sie einfach ihre Umgebung.
Manchmal ist sie verspielt.
Und manchmal kann sie auch ihre Krallen ausfahren, wenn ihr etwas nicht passt. Können Sie sich die Katze vorstellen?
Sehen Sie sie nachts durch die Wiesen streifen, beleuchtet vom Mond, angetrieben von Lebenslust?
Das ist nicht die Katze, die ich meine. Unsere Katze leidet.
Unsere Katze blutet.
Unsere Katze ist vom Auto angefahren.
Beschwerlich versucht sie, ihren geschundenen Körper von der Straße zu ziehen. Sie mobilisiert alle Kraft, die sie noch hat.
Doch sie schafft es nicht.
Nicht alleine.
Doch da kommt jemand – ein aufmerksames Mädchen, das reagiert, als es das Leid der Katze sieht.
Behutsam hebt es unsere hilflose, verängstigte Katze von der Straße, und bringt sie auf seinem Arm zum nächsten Tierarzt.
Unsere Katze ist nicht tot.
Aber unsere Katze muss sich erholen, muss ihre Wunden lecken. Der Tierarzt hat sie in einer Not-OP wieder zusammengenäht. Sie wird es schaffen.
Sie wurde gerettet.
Und nun projizieren Sie das Bild dieser Katze auf die heutige Situation des klassischen Journalismus.
Unsere Katze ist der heutige klassische Journalismus, der Qualitätsjornalismus, und dieser befindet sich in einer Krise.
Er wurde angefahren.
Aber nicht von einem Auto auf der Straße, wie unsere Katze. Nein. Sein Auto ist die Hate speech. Sein Auto sind die Fake News. Sein Auto ist die Political Correctness.
Bernhard Pörksen, ein Professor für Medienwissenschaft an der Universität in Tübingen, definiert sein Auto in seinem Text „Alle müssen Journalisten sein“ als die wachsende Konkurrenz, die dadurch entsteht, dass plötzlich alle senden können.
All diese Autos treffen unseren klassischen Journalismus hart.
Denn – “Was sind News, was sind Fake News? Wem traut man die Unterscheidung zu?”, wie es auch Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in seiner Laudatio zur Verleihung des Marion Dönhoff Preises an die New York Times formulierte.
Und auch ich frage mich: Wem kann man noch trauen?
Dem gelangweilt motivationslosen Moderator Klaus Kleber in den 22 Uhr Nachrichten im Fernsehen, der reißerischen Redakteurin in der BILD-Zeitung oder doch lieber dem twitternden Tonangeber-Ex-Präsidenten, der für alles eine Erklärung zu haben scheint?
Ganz ehrlich – ich habe keine Antwort für Sie – wobei mir die beiden erst genannten schon noch eine bessere Lösung erscheinen als der Letztgenannte. Denn diese liefern wenigstens meistens Beweise für die Informationen, die sie veröffentlichen. Und sie unterliegen wenigstens theoretisch dem Pressekodex des deutschen Presserates, der sie zumindest theoretisch zur Sorgfalt in der Recherche, zur Trennung von Tätigkeiten und Beruf und zur Wahrhaftigkeit ihrer Veröffentlichungen verpflichtet.
Allerdings befindet sich der klassische Journalismus meist in gedruckten Zeitungen.
Und wir leben im Internetzeitalter.
Gedruckt ist für uns unattraktiv – ein weiteres Auto, das den Journalismus trifft.
Doch erinnern wird uns an unsere Katze – sie hat die schwere Zeit überstanden.
Und genauso, wie sie es geschafft hat, wird es auch der klassische Journalismus schaffen. Doch auch wie unsere Katze schafft er es nicht mehr ohne Hilfe, sich zu erholen.
Er braucht aufmerksame, engagierte Menschen, die seine Wichtigkeit und gleichzeitig das Leid erkennen, in dem er gerade steckt – und handeln.
Denn egal, ob Katze oder Qualitätsjournalismus, wir brauchen sie. Sei es für unser Wohlergehen, für die Mäuseplage im Garten oder fürs Informiertsein und die Meinungsbildung.
Wie die Katze manchmal einfach beobachtet, was in ihrer Umgebung passiert, analysieren auch klassische Journalist*innen ihre Umgebung und informieren die Leser*innen, was passiert.
Wie die Katze manchmal spielt, nutzen auch Journalist*innen hin und wieder humorvolle Ansätze, um die Leser*innen zu unterhalten.
Und wie die Katze ab und an mal ihre Krallen ausfahren muss, um sich zu wehren oder zu ernähren, sind auch die Journalist*innen ab und an gefragt, etwas zu kontrollieren und zu kritisieren, was für beide Seiten nicht immer angenehm, aber notwendig ist.
Diese Funktionen sind zeitlos.
Verschiedene aufmerksame Menschen haben bereits Ansätze geliefert, dem klassischen Journalismus zu helfen. Jochen Hörisch beispielsweise, Professor für Literatur- und Medienwissenschaftenan der Universität Mannheim, denkt ebenfalls, dass ein solcher Journalismus noch in Zukunft Relevanz haben wird – allerdings mit einer anderen Ausrichtung. Journalist*innen sollten sich nicht mehr als Gatekeeper, sondern als Barkeeper sehen, was heißt, sie sollen verstehen, dass in Zukunft alle senden werden, es aber ihnen vorbehalten ist, die wichtigsten dieser gesendeten Informationen auszuwerten und zu mixen.
Der Publizist Michael Haller sagt außerdem, dass Journalist*innen dringend Distanz zu den Personen bewahren müssen, über die sie berichten – ansonsten werde ihnen kaum einer Glauben schenken, subjektiv Bericht zu erstatten. Bernhard Pörksens Ansatz ist dagegen, dass alle Journalisten sein müssen – die gesamte Gesellschaft solle die Tugenden annehmen, die von Journalist*innen erfordert werden, damit sie selbst die Medien kritisch hinterfragen und Fake News eine kurze Lebensdauer haben.
Ich selbst erlebe außerdem, wie vor allem wir als zukünftige Generation abgeschreckt sind von gedruckten Zeitungen, die uns am Frühstückstisch eher lästig im Butterbrot hängen als sachlich ins Bilde über das momentane Weltgeschehnis zu setzen. Ein weiter Ansatz ist es daher, das Design des klassischen Journalismus zu ändern.
Dies sind nur ein paar der vielen möglichen Ansätze.
Ich denke, man muss sich all dieser genannten Ansätze bedienen – und noch mehr. So ähnlich wie bei unserer Katze: Man muss sie wieder zusammennähen, damit sie sich erholen kann. Auch den klassischen Journalismus muss man aus verschiedenen Teilen neu zusammensetzten, damit er eine Zukunft hat.
Und dies muss, wie bei unserer Katze, als „Not-OP“ geschehen: Wir können nicht mehr lange warten. Denn je länger wir warten, desto mehr verlieren vor allem wir Jugendlichen den Draht zum klassischen Journalismus. Je länger wir warten, desto mehr verlieren alle das Vertrauen in den klassischen Journalismus und verschwinden mehr und mehr in ihren Filterblasen.
Aber wenn wir es schaffen, und ich sage bewusst „wir“, da er auf uns alle angewiesen ist, der klassische Journalismus, dann wird er es schaffen.
Er kann sich erholen.
Und er wird sich erholen.
Das Internetzeitalter mit all seinen Umbrüchen, Fake News, Hate Speeches und seiner Political Correctness wird nicht sein Ende sein, denn wir brauchen ihn. Hier sind Steinmeier, Haller und auch ich uns einig, wenn wir sagen: Das Informiertsein ist eine Bürgerpflicht, denn anders funktioniert eine Demokratie nicht.
Und die Bürger wollen informiert sein, wie Haller betont.
Deshalb denke ich, dass Hate Speech, Fake News und Political Correctness den klassischen Journalismus zwar „anfahren“ – aber nicht umbringen. Das Internetzeitalter stellt ihn vor Herausforderungen, die sich allerdings mit etwas Engagement überwinden lassen: Man muss ihn lediglich etwas neu zusammennähen, etwas verändern und neu richten.
Dann kann er seine Funktionen erfüllen, die zu jeder Zeit gebraucht werden: informieren, artikulieren, mitteilen, kritisieren und kontrollieren.
Unserer Katze geht es wieder gut.
Ein Essay von Katharina Meyer
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