Ein hochgekrempelter Kragen, das markante Gesicht von Benedict Cumberbatch mit den hohen Wangenknochen und dahinter sein humpelnder Assistent John Watson, verkörpert von Martin Freeman, bestens bekannt aus der Hobbit-Trilogie: Mehr braucht es nicht, um tolle Detektiv-Geschichten mit spannenden Wendungen gekonnt aufzutischen, könnte man denken.
Ganz so ist es nicht, wie die BBC Serie “Sherlock” zeigt, denn in den vier Staffeln, die zwischen 2014 und 2017 entstanden und erschienen sind, wurde etwas ganz Anderes bewiesen.
Mit der Serie „Sherlock” liefert uns Regisseur Paul McGuigan eine interessante und aktualisierte Reinkarnation der Detektiv-Romane von Arthur Conan Doyle, dessen ausgefallene und brillante Fälle direkt vom 19. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert katapultiert wurden und im modernen London einen neuen Glanz bekommen. Oft verbleiben von den ursprünglichen Geschichten nur Silhouetten wie der Name der Episode oder des Romans und der Erzählungen, die Protagonisten, die grobe Storyline und wenige aber gut platzierte Easter-Eggs, was Kennern der Romane und Erzählungen oftmals ein Lächeln auf die Lippen zaubert, doch genau so war es auch von den Drehbuchautoren Steven Moffat und Mark Gatiss geplant, die der Serie ihren eigenen Glanz verliehen haben und sie so auch über den angelsächsischen Bereich hinaus bekannt gemacht haben. Neue Zuschauer kommen eher durch zugespitzte, amüsante Dialoge und jedes Mal aufs Neue überraschende und sensationelle Deduktionen und deren Auflösungen mit Aha-Effekt auf die Kosten ihres Netflixabonnements. Als Molly Hooper beispielsweise Sherlock auf seine Drogensucht, von der er nur durch einen neuen Fall entfliehen kann, und dessen Folgen aufklären möchte (durch die auch sie Stress verspürt, ausgelöst durch Sherlocks Zustand), antwortet Sherlock gekonnt:
„Stress ruins every day of life while death ruins only one.“
Trotz dieser sehr positiven Aspekte und Inhalte der Serie ist es nicht der „hochfunktionale Soziopath“, wie sich Sherlock Holmes ironisch selbst betitelt, oder die neue Verpackung der seit über hundert Jahren im Bücherregal wartenden Romane und Erzählungen, die einen bei der Serie fesselt.
Es ist entgegen jeder Erwartung nicht der eiskalte Meisterdedektiv, der einem am Anfang vorgestellt wird und den der Zuschauer durch sein von Drogenkonsum, Zynismus und Einsamkeit geprägtes Leben begleitet. Es ist die Menschlichkeit hinter dieser obskuren Fassade namens Sherlock Holmes. Es ist das seltene Lachen und die Nähe, Verbundenheit und Dynamik zu oder vielmehr mit seinem Assistenten und fest an seiner Seite stehendem Freund, dem anscheinend unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidenden Militärarzt und Kriegsinvaliden John Watson. Dieser hat seine Leidenschaft und Begierde nach Gefahr nicht in Afghanistan gelassen und geht so ohne Nachfrage seit dem Kennenlernen Sherlocks jede noch so große Gefahr ein, um den berühmten Blog über die Fälle des Sherlock Holmes zu füllen. Mit dieser Menschlichkeit und seltsamen Freundschaft kann man sich als Zuschauer identifizieren und man möchte am liebsten sofort wissen, in welches Abenteuer sie sich als nächstes stürzen oder welcher irrwitzigen Idee Sherlock als nächstes folgt. Ob Serienkiller, Giftmischer oder ausgefeilte Mordpläne, die sich über Monate strecken: Kein Fall ist zu schwer für Sherlock Holmes, außer vielleicht der normale Alltag, zu dem Sherlock sich nicht gerade hingezogen zu fühlen scheint und in dem er schnell der Langeweile verfällt.
Für Überraschungen sorgt auch Sherlocks und John Watsons Vermieterin, Mrs. Hudson, welche es als ehemalige Frau eines Kartellführers und Drogendealers mit der Verkleidung als normale Rentnerin von Londons Innenstadt immer wieder schafft, einen zu überraschen. Man erwartet durch ihre zurückhaltende und schüchterne Art beispielsweise nicht, dass sie Sherlock damit beauftragte, ihren Mann des Mordes zu überführen und so in den USA der Todesstrafe auszuliefern. Zu dem Freundeskreis des Meisterdetektivs gehören Greg Lestrade, der neben Sherlock etwas naiv aussehende Hauptinspektor der Polizei, welcher Sherlock das ein oder andere Mal nach Hilfe bei skurrilen Fälle fragt, und auch Molly Hooper, welche offensichtlich in Sherlock verliebt ist und mit ihm am Barts-Hospital als Forensikerin arbeitet. Man bekommt des Öfteren den Eindruck, Sherlock würde sich nicht für sie interessieren und sie nicht schätzen.
Ein interessantes Zwischenspiel entsteht auch zwischen Sherlock und seinem noch intelligenteren Bruder Mycroft. Obwohl beide dem Rest der Welt in Intelligenz und logischem Denken weit überlegen sind, wird uns der eiskalte Sherlock immer mehr als Mensch vorgestellt und Mycroft zeigt sich durch seine größten Schwachpunkt, die Sorge um Sherlock, ebenso immer mehr zu anderen Menschen hingezogen. Trotzdem zeichnet sich Mycroft, wie auch in den Büchern beschrieben, durch seine Trägheit und seine Bequemlichkeit aus, die ihn auf eine Weise trotzdem nicht so bedeutend wie Sherlock Holmes wirken lassen. Die an adäquaten Stellen eingebrachten Witze über Mycrofts wiederkehrendes Übergewicht bringen auf einer Meta-Ebene Humor über die Tatsache, wie „schmächtig“ Mycroft in der Serie dargestellt wird. Doch warum hat man keinen korpulenteren Schauspieler genommen? Diese Frage lässt sich mit der Besetzung dieser Rolle erklären, denn es ist kein geringerer als Mark Gatiss, der mit Steven Moffat zusammen das Konzept für die Serie entwickelt hat. Eine sehr gute Besetzung, denn alle Facetten des schwierigen Charakters Mycroft Holmes konnten einwandfrei dargestellt werden.
Doch ein Märchen ist nichts ohne einen Bösewicht, wie die absolute Verkörperung des Bösen in „Sherlock“, James „Jim“ Moriarty, selbst sagt. Andrew Scott verkörpert das böse Gegenteil von Sherlock, gerissen, intelligent, gelangweilt wie Sherlock, doch mit der gewissen Note Bosheit, die ihn zum kriminellem Erzfeind und kriminellem Gegenstück Sherlocks macht. Seine Faszination gegenüber Sherlock und die daraus resultierende Feindschaft zwischen ihm und Sherlock durchzieht die gesamte Serie und macht den Büchern damit alle Ehre. Auch hier ist es Moriarty, der Sherlock fast in den Abgrund zieht.
Die Serie ist zwar nicht perfekt und weist z.B. einige Tiefen im Storytelling auf, wie zum Beispiel die Auflösung des Reichenbachfalls, welche durch fehlende Brillanz ein wenig an Bedeutung für die Story verliert, aber das ist auch schon Kritik auf einem so hohen Niveau, dass man der Serie ansonsten kaum etwas vorwerfen kann. Es sind Gefühle, Spannung, Wendungen, gute szeneastische und visuelle Umsetzung sowie schnelle Schnittfolgen, bei denen man Sherlock beim Denken „zusehen“ kann, die einem die Serie von Folge zu Folge bietet, welche diese Serie zu einer meiner Lieblingsserien machen. Also eine absolute Binge-Watching Empfehlung, besonders im Lockdown, der uns ja nun anscheinend noch ein „wenig“ länger begleiten wird.
Cut!
Eine Rezension von Magnus. Dank an Jule Nack, die mir die Serie empfohlen hat.