Die Kommerzialisierung der Raumfahrt: nicht mehr nur Forschung, sondern ein Geschäft

Diese Meinung vertritt Jan Wörner, Generaldirektor der ESA, denn es war das erste Mal, dass im Mai 2020 Astronauten von einem privaten Raumfahrtunternehmen im Auftrag der NASA ins All befördert wurden. Am 31. Mai diesen Jahres startete die erste bemannte kommerzielle Weltraummission vom US Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Richtung ISS. SpaceX, das vom Tesla-Unternehmer Elon Musk gegründete private Raumfahrtunternehmen, schoss zwei amerikanische Astronauten mit einer Falcon-9-Rakete zur ISS.

20 Stunden nach ihrem reibungslosen Start dockte die Raumkapsel „Crew Dragon“ mit den beiden Nasa-Astronauten Bob Behnken und Douglas Hurley an der ISS an. Seit dem Ende des Space Shuttle Programms 2011 war die USA auf eine Mitfahrgelegenheit in den russischen Sojus-Kapseln angewiesen, um ihre Astronauten ins All zu schicken. Dies änderte sich mit der Kommerzialisierung der Raumfahrt in den USA. Nachdem das Space Shuttle Programm 2011 aus Kostengründen eingestellt worden war, schrieb die NASA noch im gleichen Jahr einen Wettbewerb aus, um die Entwicklung privatbetriebener Raumkapseln voranzutreiben. Im „Commercial Crew Development“ wurden die Wettbewerber in mehreren Runden finanziell gefördert, am Schluss setzten sich die Unternehmen Boeing und SpaceX durch.

Willy Benz, Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern, beurteilte diesen Vorgang so: „Wenn sich mehrere Unternehmen um Dienstleistungen bewerben, führt das dazu, dass die Kosten sinken und die Zuverlässigkeit für die Missionen steigt.“

Auch der Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Jan Wörner erklärte in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, dass die Kommerzialisierung genau der richtige Schritt sei. Deshalb sei auch die Europäische Raumfahrtbehörde ESA sehr aktiv in dieser Richtung und reduziert die Kosten für die Ariane 6 Startrakete bereits erheblich. Mit dem US-Raumschiff könne es nun zukünftig eine weitere Reisemöglichkeit in den Kosmos geben – neben zum Bespiel dem russischen „Taxi“ Sojus.

Private Raumfahrtunternehmen werden als Partner für die staatlichen Raumfahrtagenturen immer wichtiger, weil Weltraummissionen mit sehr hohen Kosten verbunden sind, die oft nur bewältigt werden könnten, wenn sich mehrere Partner die Arbeit, Entwicklung und Finanzierung teilen. Durch die Kommerzialisierung übertrügen Weltraumagenturen wie die NASA und ESA mehr Verantwortung in private Unternehmen und kauften ihre Leistungen ein, so Jan Wörner. Deutschlandfunk-Reporter Münchenberg fragte den Generaldirektor der ESA, ob der Staat nicht wichtiges Knowhow und ein stückweit Kontrolle aus der Hand gäbe, indem er jetzt das Ganze in private Unternehmen verlagere. Jan Wörner verneinte dies, denn er wisse, dass der gesamte Bau der Dragon-Kapsel unter den Augen von NASA-Technikern abgelaufen sei. Die NASA lasse sich nicht einfach das Endprodukt schicken, sondern man müsse sich das so vorstellen, dass bei jedem Schritt der Planung und der Umsetzung auch NASA-Techniker vor Ort gewesen seien. Die Industrie habe mehr Freiheiten und müsse nicht jedes Detail im Mikromanagement festlegen, erklärte der Generaldirektor der ESA.

Durch die Kommerzialisierung und den Wettbewerb wird die Raumfahrt nicht nur billiger, sondern es bietet sich auch eine gute Chance, die Raumfahrt nachhaltiger zu gestalten. Beide Punkte erfüllt bereits die von SpaceX gebaute Weltraumkapsel „Dragon“. Die Kapsel ist wiederverwendbar und somit ein Schritt in Richtung nachhaltigerer Raumfahrt.

Die NASA zahle SpaceX doppelt so viel für einen Start einer Falcon-9-Rakete wie das Unternehmen von einem anderen Bucher verlangen würde. Durch die höheren Zahlungen unterstütze die NASA die Weltraum-Industrie, dass sie auf dem Weltmarkt konkurrieren könne, erklärt der Generaldirektor der ESA. SpaceX sei durch außergewöhnlich hohe Subventionen auf dem Weltmarkt mit extrem günstigen Preisen sehr wettbewerbsfähig geworden und mache ihnen auch in Europa Schwierigkeiten. Das liege daran, dass unterschiedliche Preise bezahlt würden, je nachdem ob es die öffentliche Hand sei oder z. B. ein europäisches Unternehmen, das eine Rakete dort kaufe.

Jan Wörner bemerkt aber auch, dass die Angewiesenheit auf eine Transportfähigkeit ein Ansporn zur internationalen Zusammenarbeit auch in Zeiten politischer Krisen gewesen sei. Sie hätten in den letzten Jahren immer zusammenarbeiten müssen: Amerikaner, Kanadier, Russen und Europäer. Diese gegenseitige Abhängigkeit, die Zusammenarbeit und Vertrauen forderte, habe durchaus ihren Vorteil gehabt. Jan Wörner hofft, dass die internationale Zusammenarbeit durch die geglückte Mission der SpaceX Rakete nicht leiden werde, sondern dass die Redundanz positiv sei, weil sie parallele Systeme hätten.

Auch Carsten Borowy und Marco Berg von OHB bestätigen, dass Raumfahrt nur in der Kooperation funktioniere und nicht durch Alleingänge. „Ohne Zweifel kann die ISS als die komplexeste Maschine, die die Menschheit jemals entwickelt hat, bezeichnet werden.“, erklärte Borowy. „Ich glaube, es sind weit über 100 Länder daran beteiligt gewesen, es zu realisieren. Und das wird auch politisch genutzt, um in den Ländern Kooperationen zu schaffen und gute Signale zu setzen. Wenn wir gemeinsam agieren, dann können wir solche guten Dinge schaffen. In der Raumfahrt versuchen wir wirklich, die Menschheit zusammenzubringen.“

Der Weltraum ist zum Big Business geworden, nicht nur im Bereich des Raketenbaus und der Transportleistungen zur ISS. „New Space“ ist das neue Stichwort, das die wirtschaftliche Nutzung des Weltraums durch private Anbieter beschreibt. Dabei sind auch die erdnahen Orbits ins Zentrum der Kommerzialisierung gerückt. Dort werden im Bereich Internet, Satellitenkommunikation und Erdbeobachtung die großen Geschäfte gemacht. Wer dort früh sein „Claim“ absteckt, hält die kommerziell wichtigen Orbits besetzt. Die Satelliten des europäischen Galileo-Navigationssystems, die von OHB in Bremen gebaut werden, nutzen einen etwas höheren Orbit um eine große Abdeckung am Boden zu erreichen.

SpaceX ist auch in der Telekommunikation am Start. Das Unternehmen ist gerade dabei, Stück für Stück ein riesiges Netzwerk aus ca. 40.000 Satelliten ins All zu schießen. Ihr Ziel: in sechs Jahren jeden Punkt der Erde durch eine sogenannte Megakonstellation mit schnellen Internet zu versorgen. Eine globale Abdeckung wird bereits zum Ende dieses Jahres erwartet. Dies zunächst noch mit reduzierter Kapazität. Doch Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Ende Mai sorgten 60 Starlink-Satelliten für Aufregung, da sie als lange, leuchtende Kette über den Himmel zogen. Das Leuchten der Satelliten entsteht durch das Reflektieren der Sonne. Einige Astronomen zeigten sich besorgt, weil sie fürchteten, dass es zukünftig keinen Sternen-, sondern einen Satellitenhimmel zu sehen gäbe. Doch viel bedeutender ist das Problem der Weltraumvermüllung, das wegen ausgedienter oder ausgefallener Satelliten zunimmt. Auch stört der intensive Funkkontakt den Empfang der Signale von Radioteleskopen.

Nicht nur im Bereich der Telekommunikation wetteifern private Unternehmen zunehmend untereinander, auch der Weltraumtourismus ist ein Teil der großen und ehrgeizigen Pläne der drei Milliardäre Richard Branson, Jeff Bezos und Elon Musk. Das Weltraumtourismus-Unternehmen Virgin Galactic von Branson hat bereits 600 Tickets für ungefähr je 250.000 Euro verkauft. Eineinhalb Stunden soll der Ausflug ins Weltall dauern. Dazu sollen bis zu sechs Touristen über die Grenze des Weltraums (per Definition 100 Kilometer über der Erdoberfläche) gebracht werden und am höchsten Punkt ein paar Minuten die Schwerelosigkeit erleben können. Auch Jeff Bezos Raumfahrtunternehmen Origin Blue plant Touristen mit ihrer New Shepard Rakete schon bald ins All zu bringen. Ebenso Elon Musk, der jedoch noch ehrgeizigere Ziele verfolgt. 2021 sollen drei Touristen zusammen mit einem Kommandanten in einer „Crew-Dragon“ Raumkapsel zur ISS reisen und dort mindestens acht Tage bleiben. Auch Reisen zum Mond und Mars sind in Planung.

„Davon kann man halten, was man will“, meinte Carsten Borowy in unserem Interview, „wenn ein japanischer Milliardär zum Mars fliegen möchte, warum nicht? Soll er doch machen. Wenn Blue Origin eine kleine Rakete baut, die eigentlich nur gerade hoch fliegt und gerade wieder runterfällt, aber man eben physikalisch und per Definition im All gewesen ist und die Aussicht von oben genießen kann – wunderbar! Warum soll man damit nicht Geld verdienen? Deswegen glaube ich, dass dieser Tourismus eine kommerzielle Geschichte ist. Da werden Firmen ihre Geschäftsmodelle entwickeln und das machen sie super. Wir hatten auch schon Touristen auf der ISS, die dann aber durchaus auch ein paar Arbeiten machen mussten.“

Auch die NASA plant eifrig. 2024 soll wieder eine bemannte Mission zum Mond starten. Die Mission trägt den Namen „Artemis“, nach der griechischen Göttin der Jagd. Zum ersten Mal soll auch eine Frau zum Mond fliegen. Das Landemodul für die Mondlandung soll eine Privatfirma beisteuern. Diesen Frühling entschied die NASA, welche Firmen sie unterstützen wird. Das Rennen machten Jeff Bezos‘ Firma Blue Origin mit der Mondlandefähre „Blue Moon“, das Technologieunternehmen Dynetics und SpaceX.

Die Grundlage für den Wunsch des stellvertretenden NASA-Chefs Jim Morhard, die Wirtschaft in den erdnahen Weltraum auszudehnen, ist bereits geschaffen. Zurzeit wir noch erforscht, wie die Verwertung von Ressourcen im All realisiert werden kann. Space Mining wird diese neue Branche genannt. Dabei handelt es sich um eine Art Weltraumbergbau. Das Ziel ist es, auf Asteroiden nach wertvollen Ressourcen zu suchen, da diese oft Edelmetalle enthalten. Weil die Aufteilung des Weltraums zunehmend eine wichtige Rolle spielt, wäre ein internationales Weltraumrecht und -gesetz sinnvoll.

Auch Jeff Bezos hat ähnliche Ziele wie Jim Morhard. Der Amazon-Gründer schlägt vor, sämtliche Schwerindustrie in den nächsten Jahrhunderten ins Weltall zu verlagern und die Erde zur „Wohn- und Leichtindustriezone“ zu erklären. Da kommt einem „Star Wars“ doch gar nicht mehr so unrealistisch vor.

Science Fiction wird immer realer werden. Was jetzt noch unmöglich erscheint, wird in 100 Jahren völlig normal sein. Das Weltall ist durch die Kommerzialisierung zum Big Business geworden. Ein vielfältiger Markt von Tourismus über Telekommunikation bis zur Erforschung neuer Planeten hat sich aufgetan und setzt der Fantasie keine Grenzen. Durch die Kommerzialisierung ist ein breites Angebot in der Raumfahrt entstanden, dass allerdings auch dazu führt, dass Nationen unabhängiger voneinander werden und multinationale Zusammenarbeit, wie sie in der ISS gelebt wird, zerbrechen könnte. Auch wird die Raumfahrt infolge der Kommerzialisierung zunehmend effizienter und kostengünstiger werden. Zu hoffen bleibt, dass dieser Fortschritt die Raumfahrt nachhaltiger gestalten wird und somit zukünftig weniger Weltraummüll entsteht.

Ein Artikel von Elise Seiferth

Quellen in Auswahl:

– Jan Wörner im Gespräch mit Jörg Münchenberg im Deutschlandfunk (https://www.deutschlandfunk.de/spacex-rakete-startet-mit-us-astronauten-kommerzialisierung.694.de.html?dram:article_id=477451 Zugriff am 03.07.2020)

ingenieur.de: Kommerzialisierung im All – die private Raumfahrt holt auf (https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/raumfahrt/kommerzialisierung-im-all-die-private-raumfahrt-holt-auf/#all-tourismus Zugriff am 03.07.2020)

– Interview mit Marco Berg und Carsten Borowy von OHB (am 26.03.2020, geführt von Ann-Cathrin Behrens und Elise Seiferth)

Wenn euch das Thema interessiert und ihr mehr über ESA‘s und NASA’s Kommerzialisierungsideen für den nahen Erdorbit erfahren wollt, schaut euch gerne folgende Links an:

https://www.nasa.gov/leo-economy/low-earth-orbit-economy

http://youbenefit.spaceflight.esa.int/commercialisation-of-research-and-applications-in-space/

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