Neues aus Vietnam – Das Interview mit Herrn Kreier (Teil 2)

6. Was vermissen Sie an der Eichenschule am Meisten?

Manchmal hat man hier im Land ein ziemliches Chaos, das reflektiert sich auch auf die Schulen. Das nicht vorhandene Curriculum. Erfahrene Kollegen sind hier eher selten. Ich vermisse Physiklehrer, die ich fragen kann, eine Sammlung mit Sachen, die funktionieren, die geordnet und beschriftet sind. Ich bin der einzige Hochschullehrer für Physik an dieser Schule, an der Mittelschule haben wir drei Lehrer, die unter anderem auch Physik unterrichten. Aber sie kennen sich zum Beispiel mit Elektrizität nicht aus. Optik wird nicht unterrichtet. Wir haben uns Projekte aus dem letzten Jahr in Verbindung mit Mechanik angesehen. Da waren so einige Fehler drin, Formeln falsch angewendet, Erklärungen nicht korrekt. Das heißt, den Schülern wurden auch falsche Sachen beigebracht. Wir haben also ein physikalisch schwache Grundlage, keinen Kollegen, mit dem du dich fachlich austauschen kannst – so musst du dich an andere internationale Schulen der Umgebung wenden. Immerhin wird die Zusammenarbeit auch von Seiten der Schule in dieser Richtung organisiert.

Materialien und Experimente sind eine andere Herausforderung. Ich wollte einen Mikrowellensender im Unterricht benutzen, den wir auch an der Eichenschule haben, doch hier muss ich mich selbst darum kümmern. Wo gibt es einen internationalen Anbieter? Kann man nach Vietnam importieren? Was ist der Preis? Zollpapiere? Unser Einkauf hat einen britischen Anbieter bekommen, doch dann konnte der “irgendwie” nicht liefern und ich musste die Anbieter selbst anschreiben, Videokonferenzen halten, emails hin und herschicken. Am Ende wurde der Kauf trotzdem gekippt. An der Eichenschule haben wir sehr gut ausgestattete Räume. Du kommst in den Physikraum, möchtest Elektrik unterrichten, drückst einen Knopf, das Versorgungspanel fährt herunter, und schon kannst du es nutzen. In Vietnam suchen wir Verlängerungskabel. Die technische Ausstattung ist eher ein Abenteuer. Wir haben schon einen besseren Hintergrund an der Eichenschule, das ist besser organisiert, was Ausstattung und Fachkunde angeht.

7. Wie finden Sie es, dass wir nun unseren eigenen Schülerblog betreiben?

Grundsätzlich gute Idee, viele Sachen, die man später im Leben braucht muss man einfach einmal ausprobieren. Learning by doing. Wie soll ich wissen, wie man Kommentare schreibt, kurze Absätze in digitalen Medien nutzt, wie soll ich lernen, einen Sprachstil zu finden, den andere attraktiv finden, wenn ich es niemals tue? Man macht zwar viele Anfängerfehler, aber werde besser und kann an meinen eigenen Fehlern lernen. Insofern ist ein eigenes Blog eine gute Möglichkeit zu lernen, Verständnis zu haben, gute Sache!

8. Sind Sie noch in punkto Astrophysik aktiv?

Auf jeden Fall. In der Physik Oberstufe (IB Physics Diploma) gibt es 4 Wahlrichtungen: Relativität, Ingenieurswesen, Optik und Astrophysik. Wir haben uns bisher immer für Astrophysik entschieden. Und das Thema bleibt interessant. Seit ich die Eichenschule 2016 verlassen habe wurden sowohl Gravitationswellen entdeckt (gab einen Nobelpreis) als auch das erste Foto eines schwarzen Loches veröffentlicht. Eine Kollegin mit Hochschulabschluss sagte in Bezug auf Planeten und Sterne, dass man glauben muss, was einem in der Schule beigebracht wird. Und ich konnte gleich widersprechen, weil man all die Sterne mit eigenen Augen sehen kann – auch im hellen Saigon! Und Sterne, die heller als alle anderen sind und sich bewegen – eben keine Sterne, aber Planeten wie Jupiter oder Venus (unser jetziger Abendstern). Also habe ich gleich eine Aufgabe an meine Schüler geschickt, um kurz nach Sonnenuntergang um 18:00 den Himmel über sich zu fotographieren. Denn im Januar stand dann Orion direkt über uns. Man konnte deutlich die Farbe des roten Riesen Betelgeuze erkennen, als auch das eher blaue Licht des weißen Zwerges Rigel. Das gelingt sogar mit einem iPhone 7. Einige Schüler haben ihre Bilder eingeschickt, auch von Nikon DSLRs oder Fujis mirrorless. Wo möglich versuche ich das in Klasse 9 bis 12 einzubringen. Oder mal eben ein Zitat aus einem Marvel Film zu überprüfen: Hat Rocket recht, dass Peter Quill in Sekunden im Weltraum erfrieren würde? Spoiler alert: Es würde über eine Stunde dauern, um zu erfrieren :).

9. Welche Verhaltensart ist typisch vietnamesisch? Z.B. Hamstern in Deutschland

Dazu gehören sicherlich Gesichtsmasken, die die Menschen hier jeden Tag tragen – schon vor Corona. Das ist so allgegenwärtig, dass es das Titelbild eines Vietnam Reiseführers zierte, das ich von Frau Ebeling zu Abreise geschenkt bekam.. Insofern ist es aktuell nicht Besonderes. Die Menschen im Land sind sehr freundlich und hilfsbereit, wenn man etwas von den touristischen Zentren weg ist, und ehrlich. Bezirke mit vielen Rucksacktouristen sind anders – aber das ist es überall auf der Welt. Die Lebenshaltungskosten hier sind sehr niedrig, und es würde für Europäer kaum einen Unterschied machen, auch das zehnfache zu bezahlen. Doch etwas abseits des Zentrums zahle ich den gleichen geringen Preis wie alle anderen. Egal, wo ich hinkomme, die Leute sind hilfsbereit und nett. Und sind traurig, dass sie kein Englisch sprechen. Auch wenn ich das zehnfache oder hundertfache bezahlen könnte, es wäre immer noch billig. Doch sie nehmen den ganz normalen Preis von mir. Sie wollen keine Ausländer abzocken.

Tagsüber sind es hier zwischen 32 und 37 Grad – in der Sonne über vierzig. Und deshalb vermummen sich viele Menschen tagsüber auf den Rollern, mit Handschuhen, langen Ärmeln und Hosen, wie ,,Ninjas”. Nur, um keinen Sonnenbrand zu bekommen. Kurz nach Sonnenuntergang sieht man plötzlich weitaus mehr Haut.

Fortbewegungsmittel hier ist der Roller, das Standard Fortbewegungsmittel. Ständig sieht man ganze Familien auf dem Roller, Vater und Mutter mit zwei Kindern zwischen ihnen – und Einkäufen. Oder drei Bauarbeiter auf einem Roller. Alles wird mit dem Roller gemacht. Brauche ich einen neuen Fernseher, eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank, kann ich ihn hinten drauf schnallen. Gasflaschen sind auch kein Problem. Oder der Sozius hält die Glasscheibe senkrecht im Verkehr. Das ist der Alltag hier. Und die bis zu sechsspurige Straße wird von allen geteilt: Trucks, Reisebusse mit 100 km/h, Rollerfahrer, Fahrradfahrer oder Leute, die ihr Verkaufsmobil vor sich her schieben. Alle gemeinsam, weil es die einzige Straße ist. Und es gibt erstaunlich wenig Unfälle, auch weil alle stets vorsichtig sind und Geister(motorrad)fahrer in jedem Augenblick erwarten. Und alle paar Minuten auch treffen.

10. Welcher Sport wird dort großgeschrieben?

Die Menschen hier spielen gern Federball oder Badminton auf der Straße, zum Teil morgens vor Sonnenaufgang und oder nach Sonnenuntergang. Allgemein wird Sport noch nicht so groß betrieben. Es gibt zwar sehr wenig übergewichtige Personen, das liegt aber zum Teil an der Ernährung, viel Obst und Gemüse, wenig Fettiges. Eine interessante Erfahrung habe 2017 beim hcmcrun gemacht. Die Zahl der Teilnehmer für Marathon, Halbmarathon, 10km und 5km steigt jedes Jahr. Ich bin mit 5 Kilometern gestartet, es war ein Rundkurs. Nach der Hälfte der Strecke kommen dir die langsameren Läufer auf der anderen Straßenseite entgegen. Und ganz viele sind gegangen, statt gelaufen, immerhin bewegen sie sich, aber das Prinzip des Laufens oder Rennens wurde wohl noch nicht ganz verstanden. Bei uns in District sieben gibt es durch den Einfluss von Koreanern mehr und mehr Jogger und auch Rennradfahrer. In Fitnessstudios kann man zumindest die Temperatur regeln, denn 32 Grad sind nicht sehr angenehm zum Laufen. Der Marathon startet daher auch um 4:00 Uhr morgens, lange vor Sonnenaufgang.

11. Wollen Sie irgendwann nochmal nach Deutschland zurückkehren? Zu unserem Abi-Ball oder auf längere Zeit?

Die nächsten Jahre möchte ich in Vietnam bleiben. Wir haben hier ganzjährig 25 bis 35 Grad, mit einer bald beginnenden Regenzeit. Dann regnet es nachmittags aus Kübeln, dann stehen die Straßen für 30 Minuten bis zu knietief unter Wasser. Es fließt weg, alles trocknet und ist kurz danach wieder beim Alten. Das Leben ist sehr preiswert, Benzin kostet zur Zeit nur umgerechnet 46 Cent pro Liter. Da mein Roller nur zwei Liter verbraucht, brauche ich weniger als einen Cent pro Kilometer. Belegtes Brot mit großem Kaffee zum Frühstück für unter einem Euro. Vietnamesisches Mittagessen für etwa 2 Euro.

Mein nächstes Ziel ist hier, die Sprache zu lernen. Im Sommer höre ich auf zu arbeiten, um von dem gesparten Geld zu leben. Und neben Urlaub eben auch Kultur, Sprache und Menschen kennenzulernen. Es gibt noch viele andere Länder rundherum, die ich besser kennenlernen möchte. Ein Flug auf die Philippinen kostet keine zweitausend Euro, sondern Hin und Zurück nur einhundert Euro. Übernachtung findet man problemlos für acht Euro. So habe ich öfter schon den Flug gebucht, eine Stunde den Rucksack gepackt, auf den Roller gesetzt, bin für einen Euro zum Flughafen und oft nur mit Handgepäck, sieben Kilo, unterwegs. Du fliegst mal nach Korea oder Japan für 200 Euro und kommst nach einer Woche wieder. Es gibt also noch genug zu entdecken.

Am Ende nochmal ein großes Dankeschönund viel Spaß weiterhin in Asien!

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