Wir werden das schon schaffen? – Grüße aus dem Homeoffice – Tag 24 von Bennett Meyer

Wir werden das schon schaffen…

Dieser Satz oder viel mehr die darin enthaltene Einstellung begleitet mich seit den Schulschließungen aufgrund der Corona-Pandemie.

Täglich lese ich von zusätzliche Maßnahmen und milliardenschweren Unterstützungen durch den Staat. „Wir sind ein reiches Land“, das betonen Politiker gerade öfter denn je. Nahezu täglich höre ich diesen Satz im Fernsehen oder lese ihn in den Nachrichten. Die Menschen sollen keine Angst haben und der Regierung vertrauen.

Doch wie kann es weitergehen?

Viele Unternehmen, darunter Restaurants, Bars, Kinos und selbstverständlich auch kleine Einzelhändler sind geschlossen.

Wie lange kann / muss dieser Zustand noch aufrecht erhalten werden, bis hunderttausende Firmen und Privatpersonen vor der Insolvenz stehen? Zahlungsunfähig sind.

Trotz dieser Bedenken bleibe ich weiter optimistisch und zumindest bei mir wirken die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen in Form von psychischer Beruhigung.

„Wir werden das schon schaffen…“

Doch innerhalb der letzten Woche geriet diese Einstellung zunehmend in den Hintergrund. Ich hörte von ersten Infizierten in Syrien oder anderen Krisengebieten.

In meinem Kopf entstand ein Horrorszenario. Verzweiflung machte sich breit.

Wie sollen Entwicklungsländer oder Kriegsgebiete mit einer Pandemie zurechtkommen, wenn es ein Land wie Deutschland mit einem zweifellos guten Gesundheitssystem im internationalen Vergleich gerade einmal mit Mühe und Not schafft, alle Infizierten zu versorgen?

Wie können Erkrankte in Syrien überhaupt behandelt werden und wie schafft es dieses Land, dringend benötigte Schutzausrichtung oder Desinfektionsmittel zu beschaffen? Wie kann ohne dauerhaft vorhandene technische Infrastruktur der Schutz der Bevölkerung gewährleistet werden? Wie schnell wird sich das Virus in Krisengebieten verbreiten? Wird es ein Massensterben geben?

Ich habe Angst. Ich glaube nun doch nicht mehr an den eingangs erwähnten Satz, hinter dem so viel Optimismus stand. Besonders, wenn ich an den afrikanischen Kontinent und die Millionen Menschen in oftmals katastrophalen Lebensbedingungen denke, glaube ich eher an eine Katastrophe, als an einen zufrieden stellenden Ausgang.

Diese Gedanken werden begleitet von Meldungen aus dem türkischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Griechenland. Es wird eine Ausbreitung des Corona-Virus in der überfüllten Notunterkunft erwartet. Statt „geplanten“ 3.000 leben hier 19.000 Menschen auf engstem Raum, für die sich in der aktuellen Zeit niemand verantwortlich fühlen möchte.

Ich muss unwillkürlich an eine neue Flüchtlingswelle denken. Dieses Mal würden Menschen, darunter viele Kinder, nicht vorrangig fliehen, weil in ihrem Land Krieg und Gewalt Alltag geworden sind, sondern weil ein Virus ein Massensterben auslösen könnte. Weder Assad noch Putin, Trump, Erdogan oder andere. Stattdessen Corona.

Doch stimmt das wirklich? Einige, darunter mehrere der genannten Staatsoberhäupter, haben doch erst dafür gesorgt, dass diese katastrophalen Zustände entstanden sind…

Kann man sie dafür verantwortlich machen?

Ein Krieg ist für die dort lebenden Menschen sicherlich nicht besser.

Es ist zu einfach, die Verantwortung komplizierter und tiefgründiger politischer Konflikte bei einzelnen Personen zu suchen. Das ist mir klar. Mir ist aber auch klar, dass der dortige Zustand zu einer Katastrophe führen wird, unabhängig von den Verantwortlichen.

„Wir werden das schon schaffen…“ Dieser Satz erinnert mich nun sofort an den heutzutage immer noch präsenten Kommentar der Bundeskanzlerin zur Flüchtlingssituation im Jahr 2015.

Gelingt es uns als Europäischer Union dieses Mal mit so vielen Flüchtlingen zurecht zu kommen und können wir vielleicht sogar aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? Ich weiß es nicht, kann nur hoffen, aber mag es mir nicht vorstellen.

Besonders in der aktuellen Zeit, in der jeder EU-Mitgliedsstaat die Grenzen geschlossen hat und nationale Abschottung aus nachvollziehbaren Gründen betreibt, ist nicht nur eine Rückkehr zur Normalität schwer vorstellbar geworden. Auch die Bereitschaft Flüchtlinge aufzunehmen, bewegt sich in weite Ferne.

Viele Länder, darunter Polen, Ungarn und Tschechien, die offiziell EU-Recht gebrochen haben, verfolgen offensichtlich eher die Strategie: „Ein Virus kennt keine Grenzen – Armut, Krieg und Hilflosigkeit hingegen schon. Dass diese Strategie die Probleme nicht löst, sondern nur aufschiebt und verschlimmert, ist in der nationalen, egoistischen Denkweise schlicht nicht von Interesse.

Seneca sagte einst: „Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht, sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.“

Ich sitze vor meinem Schreibtisch an den Deutsch-Aufgaben, schaue aus dem Fenster und denke daran, wie schön es ist. In Deutschland. In einer kleinen Blase, die schon bald platzen könnte.

Aus dem „Wir werden das schon schaffen…“ ist ein verzweifeltes und nachdenkliches „Wir werden das hoffentlich schaffen“ geworden.

Veröffentlicht von Drea Voe

Lehrerin an der Eichenschule in Scheeßel

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