Tag 1) Sonntag
Es ist Sonntag, der 20.01.2020. Nachdem mein Wecker halb sechs klingelte, heißt es noch ein paar letzte Sachen zusammenpacken und los geht‘s. Denn heute ist es so weit: Die lang erwartete Fahrt nach Brüssel geht endlich los. Das einzige, was unserem kleinen Abenteuer noch entgegen steht, sind die teilweise sehr glatten Straßen. Kurz vor Rotenburg, unserem Startpunkt, geraten wir doch noch einmal ins Rutschen und fahren fast in den Straßengraben. Letztendlich schaffen wir es jedoch alle unbeschadet zum Zug und pünktlich um 7.02 Uhr rollen wir Richtung Bremen los. Auf unserer Reise begleitet uns unser kleiner Freund John-Claude, der außer seinem kleinen Teich auch mal die Welt sehen will und dies mit vielen Fotos dokumentieren wird.
Nun auch mit Frau Hoppenstedt beginnen wir noch im Dunkeln und allesamt ziemlich müde den längsten Reiseabschnitt: Bremen-Köln. Doch auch hier kommen wir ohne weitere Probleme an und nutzen den Aufenthalt, um den Kölner Dom zu besichtigen. Die ersten Reiseposts entstehen also in den allermeisten Fällen noch in Deutschland.
Mit dem Europa ICE kommen wir anderthalb Stunden und einige ungerechtfertigte Beschimpfungen eines Fahrgasts später in Brüssel-Midi an. Unser erster Eindruck: Teilweise veraltete und verlassene Bahnhöfe, Straßenbahnen, die wenn überhaupt als „vintage“ durchgehen und jede Menge französisch und Belgisch, wovon ich und die meisten von uns kaum ein Wort verstehen. Selbst der Fahrstil der Autos unterscheidet sich sichtbar von dem in Deutschland.
Mehr als diesen schnellen ersten Eindruck werden wir von der EU-Hauptstadt bekommen, nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben. Im Meininger Hotel werden wir recht streng eingewiesen, was doch eher auf Unverständnis trifft, schließlich sind wir doch alle ganz lieb, oder etwa nicht?
Mehr oder weniger frisch starten wir nun also mit unserem ersten Programmpunkt, dem von Frau Hoppenstedt selbst organisierten Stadtrundgang. Der historische Altstadt mit den zig ehrwürdigen Bauwerken kann wohl keiner von uns widerstehen. Mit Gebäuden wie der Börse, dem Justizpalast oder auch dem Grand Place weiß die Stadt uns zu beeindrucken. Die Kultur ist hier in der Oberstadt überall zu spüren, von den vielen Denkmälern und Stolpersteinen über das reichhaltige Angebot von Bier und sündhaft teuerer Schokolade bis hin zu Stickerei und handgeknüpften Taschen. Besonders auffällig waren die zahlreichen Pommes- und Waffelläden und gerade letztere sorgten für einen leckeren Duft in jeder Ecke. Den ganz besonderen Touch bekommt die Stadt, als über uns die Dunkelheit hereinbricht und all die schönen Gebäude in einem Lichtermeer angestrahlt werden. Es ist eine erste Idee davon, warum diese Stadt so wichtig für die EU ist.
Tag 2) Montag
Der erste volle Tag startet nach einer Nacht in erstaunlich bequemem Betten um 7.00 Uhr mit einem breit aufgestellten Frühstück, dass sich gegen vermeintliche Verzehrer mit großen Steinen in Form von Brötchen wehrt. Zum Glück befinden wir uns in Belgien, denn so können wir immer noch auf die täglich bereitgestellten Waffeln ausweichen. Das ist auch gut so, denn wir haben einen intensiven und langen Tag vor uns.
Direkt nach dem Frühstück geht es mit Bus und Bahn zum Hauptquartier der NATO, wo wir mit einem Diplomaten zu einem Gespräch in Konferenzsaal Washington verabredet sind. Dieser weiß gleich auf mehrere Arten zu überzeugen und verschafft uns ein grobes Bild der NATO und ihren Aufgaben. Nach anschließender Fragerunde kreist der ein oder andere Gedanke um Sciencefictiontechnologien, die, wer weiß, vielleicht bald mehr sience als fiction sein könnten.
Nach einer ausgedehnten Mittagspause im „Exki“ und dem zweiten Sicherheitscheck des Tages sind wir bei der Kommission zu Gast. Dort hören wir einen leidenschaftlichen Beitrag zur EU, ihren Institutionen und Aufgaben und auch jede Menge Fragen dürfen hier nicht fehlen.
Draußen wurde es mittlerweile schon dunkel, doch einen Tag in Brüssel kann man noch weitaus mehr nutzen. So gehen wir in das nahegelegenen Haus der Europäischen Geschichte, um Sicherheitscheck Nummer drei zu vollziehen und damit endgültig in der Stadt anzukommen. Das Museum erweist sich als äußerst sehenswert und nicht wenige von uns hätten gerne noch weiter Stunden dort verbracht auf den Spuren unserer Wurzeln. Doch Zeit und Aufnahmefähigkeit sind leider Gottes doch beschränkt und so machen wir noch einen halbstündigen Spaziergang in die Innenstadt, um etwas zu essen.
Damit soll es für heute genug gewesen sein, nach etwas leckerer Schokolade von den Lehrern als Dankeschön (oder Bestechung?) für unsere Ausdauer fallen wir in unsere Betten und schlafen schnell ein.
Was der Tag gebracht hat, war ein erster Einblick in das imposante Europaviertel, dass uns mit Architektur und auch als Herz der EU vom ersten Augenblick an mitgerissen hat.
Tag 3) Dienstag
Das Hotelleben hat sich mittlerweile zur Routine entwickelt und es kommt mir vor, als wären wir schon eine Ewigkeit hier. So fühlt es sich schon selbstverständlich an ins Europaviertel zu fahren und unserem Tagesplan zu folgen. Die Sonne, ein bisher eher seltener Gast, begleitet uns heute durch den Tag. Dies bedeutet zunächst, dass wir den schönen Blick des Lobby Büros der EWE Brüssel genießen können. In einer entspannten Runde bekommen wir auch hier spannende Einblicke hinter die Kulissen „Die Legislative ist auf auf den Lobbyismus angewiesen, weil er die Expertise mitbringt“, behauptet unser Referent. Ganz klar ist, warum er für seinen Job so gut geeignet ist: Im Nu hatten wir alle fast das Gefühl, Lobbyismus sei eine der natürlichsten und notwendigsten Dinge hier im Brüssel. Selbst wenn dem nicht so ist, ist das, was er erzählte und erklärte hoch spannend und verschafft einen neuen Blickwinkel auf die Geschehnisse.
Den späten Vormittag füllen wir mit einem Besuch im Parlament, das schon von außen ein echtes Highlight ist. Wie eine gläserne Burg erhebt es sich vor uns. Mit einem Guide erkunden wir das Gebäude auch von innen, besonders im kleinen Saal wird uns vor Augen geführt, wie anspruchsvoll die Kommunikation und somit die Arbeit im Parlament ist. Jeder spricht hier in seiner Muttersprache, welche dann während der Rede Übersetzt wird, wodurch es zu Verzögerungen kommt. Doch trotz diesen Aufwands werden 97% korrekt übersetzt und genau das zeigt die Vielfältigkeit innerhalb Europas und dass wir es immer irgendwie schaffen, diese zu bewahren und zu einer guten Lösung zu kommen.
Eine kleine Erholung gibt es dann Mittags, wo wir traditionell Pommes essen, so wie es auch Angela Merkel schon vor uns getan hat und ein wenig im Jubelpark spazieren gehen, der sich im Sonnenlicht mit seinem Triumphbogen von seiner besten Seite zeigt. Das weiß auch Freddy mit seinem Lime zu nutzen, sehr zur Erheiterung der Gruppe. Einzig Frau Hoppenstedt lässt sich seltsamerweise nicht dazu überreden, auch mal eine Runde mit dem E-Scooter zu drehen.
Nachmittags gehen wir dann noch ins Parlamentarium. Hierüber bekommen wir den Parlamentskomplex noch einmal von der anderen Seite zu sehen, die den meisten auch schon aus TV-Aufnahmen bekannt ist.
Auch dieses Museum erweist sich als sehr sehenswert und gerade die europäische Perspektive auf die Historie unseres kleinen Kontinents ist schon bewegend. Für mich war es etwas ganz besonderes mir Aufnahmen von Kriegen, Demokratiebewegungen oder der Wiedervereinigung anzuschauen und dabei neben mir Menschen zu wissen, die Spanisch, französisch und viele weitere Sprachen sprechen und somit anderer Nationalität sind. Denn es ist das was uns verbindet: unsere Geschichte.
Abgerundet wurde dieser ereignisreiche Tag mit einem Essen im Hard Rock Café, wo es klassisch Burger mit Pommes gab. Zwar war dies nicht besonders belgisch oder europäisch, aber das hat niemanden gestört.
Tag 4) Mittwoch
Heute ist der letzte Tag rund um den Schuman-Platz und somit im Europaviertel. Auf dem Plan steht etwas doch recht besonderes: das EEAS oder im Deutschen EAD, also der Europäische Auswertige Dienst. Besonders ist es deshalb, weil die Institution gar keine in dem Sinne ist und dazu noch recht neu. Außerdem sind die Zuständigkeitsbereiche mit Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung doch ziemlich spannend.
Nach gründlichen Sicherheitschecks (einen Probeschluck müssen wir hier nicht nehmen) werden wir in einen Raum geführt, in dem wir zwei Seminare hören. Gerade so sind wir der einzig geplanten englischen Veranstaltung entkommen, da unsere Referenten fließend Deutsch sprechen. Es ist wieder einmal auffällig, wie viele bzw. wie gut hier verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Brisant wird es gerade hier, wenn es um das Thema – EU auf dem Weg zu mehr „Staat“? – geht. Durch die Verantwortung als Sprachrohr der EU anderen Ländern gegenüber könnte man meinen, man würde sich hier etwas derartiges wünschen. Aussprechen möchte dies jedoch keiner der beiden Referenten, auf die Frage, was man sich denn für die EU wünsche, kam lediglich ein: bessere bzw. leichtere Zusammenarbeit.
Auch hier bekommt man den Eindruck, dass man mit der EU, wie sie gerade ist, durchaus zufrieden ist mit all ihren Facetten, die nach außen hin auch wie Schwächen wirken können.
Nachmittags statten wir der niedersächsischen Landesvertretung einen Besuch ab. Nach so viel EU, Brüssel und Belgien fühlt sich das nun schon fast wie Heimat an. Besonders schön waren die alten Zimmer mit ihren hohen, reich verzierten Decken und dem Stuck.
Im Laufe des Vortrags bekommen wir immer mehr das Gefühl, Dinge schon gehört zu haben. Soll nicht heißen, dass der Vortrag langweilig ist, doch kommen wir immer mehr in der europapolitischen Denkweise an, zumindest fühlt es sich so an.
Als ursprünglich letzter Programmpunkt für diesen Tag ist ein Museum nach Wahl vorgesehen, ich besuche mit ein paar Anderen die Kathedrale. Diese punktet neben ihrer gigantischen Größe gerade mit ihren wunderschön ausgearbeiteten Fenstergläsern. Nachdem wir auch diesen Programmpunkt abgehakt haben, heißt es zum ersten Mal Freizeit. Das ist für einige von uns mittlerweile schon fast ungewohnt, weshalb wir gar nicht so richtig wissen, wohin mit der Zeit. Letztendlich lassen wir unser Geld wie so oft in leckerem Essen und auch ein paar Souvenirs werden erstanden.
Spontan gibt es am Abend noch einen weiteren Programmpunkt, der sich als ein Höhepunkt erweisen wird: Wir gehen ins Kino und schauen 1917, einen Film über den Ersten Weltkrieg, um uns auf den Tag in Ypern morgen gedanklich vorzubereiten und einzustimmen. Keinen von uns lassen die grausamen, aber höchst emotionalen und authentischen Szenen kalt und auch nicht jedes Auge bleibt trocken. Die Schrecken des Krieges werden uns näher gebracht, als es manchen von uns lieb ist und ich bin mir sicher, dass nicht alle gut schlafen werden heute Nacht.
Tag 5) Donnerstag
Kaum vorstellbar, dass heute schon der vorletzte Tag sein soll. Doch anhalten können wir die Zeit nicht und so geht es nach einem verhältnismäßig späten Frühstück um 9.00 Uhr mit dem Bus nach Ypern. Entgegen der Befürchtungen von Frau Hoppenstedt und Herrn Cramer kommt dieser dem Preis nach zu urteilen vergoldete Bus tatsächlich.
Der Auftakt des Tages macht ein Museum direkt in Ypern, im dem alle Einzelheiten des Krieges dargestellt werden, besonders in dem Gebiet Flandern. Auch dieses letzte Museum enttäuschte uns nicht, viele von uns werden bewegt von den Bildern, die sich uns bieten. Besonders die Videosequenzen zu Themen wie Weihnachten in den Schützengräben und der Erläuterung des Giftgaseinsatzes sorgen dafür, dass sich mir der Margen umdreht. Es wird so deutlich, dass diese Menschen eigentlich nichts gegeneinander hatten und mehr oder weniger dazu gezwungen wurden, sich zu bekriegen. Dies hinderte sie offenbar nicht an Giftgasangriffen und anderen Mitteln der Massenvernichtung, deren Schilderung nur Betroffenheit hinterlässt. Dies alles ist passiert und nun ist es an uns, sich zu erinnern uns zu verhindern, dass etwas derartiges noch einmal passiert.
Weiter ging es zu zwei deutschen und einer britischen Kriegsgräberstätte, wo wir den Unterschied zwischen deutscher und britischer Erinnerungskultur aufgezeigt bekommen. Dieser Unterschied ist einer wie Tag und Nacht, während Deutsche zwar friedlich aber ohne jegliche Fröhlichkeit sind, sind die Britischen die der Sieger. Hell und prachtvoll erstrecken sich weiße Grabsteine flächendeckend, geschmückt mit Rosen und Sträuchern und zwei Denkmälern in ihrer Mitte. Eine weitere Besonderheit hier: Jeder bekommt sein einzelnes Grab mit individueller Inschrift, was dafür sorgt, dass deutlich weniger Menschen auf deutlich mehr Fläche liegen als auf deutschem Kriegsgräbern.
Fast schon falsch fühlt es sich an, durch die Reihen der Gräber zu gehen und die Inschriften der Steine zu lesen: Ägypter, Südafrikaner, Neu Seeländer, Australier, und natürlich Briten liegen dicht nebeneinander. Das Gefühl der Ehrfurcht bestärkt die Kälte, die an diesem Tag besonders präsent ist.
Sobald die Sonne untergegangen ist, sitzen wir wieder im Bus nach Ypern, um uns um 20.00 Uhr den täglichem Zapfenstreich anzuschauen, der zu Ehren der Commonwealth Staaten abgehalten wird. Dieser findet unter dem Triumphbogen statt, doch vorher gehen wir noch alle Pizzaessen.
Als es dann soweit ist, wissen wir nicht so richtig was uns erwartet, bis Herr Cramer uns genaueres erklärt. (An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal dafür bei ihm bedanken, dass er uns all unsere Fragen jederzeit beantwortet hat.) Auch die 50.000 Namen an den Wänden bekommen nun eine Bedeutung. Die anderen 50.000 an den Wänden der Kriegsgräberstätte haben die Anzahl derer, von denen nichts übrig geblieben ist, um es zu begraben, ergänzt. Der Zapfenstreich selbst wird von vielen Menschen beigewohnt und ist zwar eher kurz, doch zweifelsohne besonders. All die Menschen unter diesem Bogen sind unterschiedlicher Nationalität, doch verbündet sind wir alle durch unsere Geschichte. Nichts hätte deutlicher machen können als diese Tag, was Europa als Friedensprojekt eigentlich für uns bedeutet. Ein Tag voller Poppys und bewegender Momente neigt sich dem Ende zu.
Tag 6) Freitag
Es ist so weit – leider. Die Zeit ist so schnell vergangen, aber gleichzeitig fühlt es sich wirklich so an, als seien wir ewig hier gewesen. Doch heute ist unser Abfahrtstag und es geht nach Hause. Doch wollen wir hier nichts überstürzen, denn Frau Hoppenstedt wäre nicht Frau Hoppenstedt, wenn wir nicht jeden Tag ganz nutzen würden. So kommt es, dass wir noch eine letzte Stadtführung machen, diesmal mit einem Historiker und Politologen, der uns das Viertel beziehungsweise die Stadt, in der unser Hotel liegt, erklärt. Dies ist deshalb sehr interessant, da sie sehr arm ist, einen hohen Immigrantenanteil hat und weil unsere Gruppenführer umfassend informiert ist und dies gut und vor Allem spontan auf Nachfrage rüberbringen kann. So haben wir noch einiges über die tatsächlich sehr reiche Stadt Brüssel gelernt und ein Stück mehr verstanden, wie sie tickt und aufgebaut ist. Ich glaube ich kann für alle sprechen, wenn ich sage wir haben diese Stadt in dieser kurzen Zeit ein Stück weit lieben gelernt und fahren mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück nach Hause.